Schüler*innen- und Elternsprechtag

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„In dieser Nacht wurden all meine Träume zerstört!“ – so leitete Isabel Lipthay die Schilderung des 11.Septembers 1973 ein, des Tages, an dem der Militärputsch des Diktators Augusto Pinochet die Demokratie in Chile brutal beendete. Die gebürtige Chilenin mit Wohnsitz in Münster, Autorin, Journalistin, Lehrerin und Sängerin, besuchte am Montag, dem 09.03., die drei Spanischkurse der Jahrgangsstufe 13 der GSG, um sie in einem multimedialen Vortrag über die jüngere Geschichte ihres Heimatlandes, ein abiturrelevantes Thema des Spanischunterrichts, zu informieren.

Dabei schilderte sie auf eindringliche Weise zunächst ihre persönlichen Erinnerungen und Erlebnisse aus der Zeit ihres Journalistikstudiums in Santiago, der Hauptstadt des Landes, wo sie die euphorisierte Aufbruchsstimmung unter der sozialistischen Regierung der Unidad Popular Salvador Allendes (1970 – 1973) teilte, die dann durch den brutalen Militärputsch des Generals Pinochet, unterstützt und mit vorbereitet durch den US-amerikanischen CIA, jäh beendet wurde. Die folgenden Gräueltaten der Militärs wie Verhaftungen, Folterungen, Ermordungen und Verschleppungen von Anhängern der Regierung des beim Putsch getöteten Präsidenten Allende, erlebte sie hautnah mit, aktivierte sich trotzdem in der verbotenen Opposition gegen das Militärregime und wurde selbst Opfer einer Massenverhaftung. Aufgrund der für sie untragbaren und gefährlichen Situation emigrierte Isabel Lipthay dann 1983 nach Münster und charakterisierte sich selbst in einem ihrer Gedichte metaphorisch als seltene Pflanze, die ihre Wurzeln in zwei verschiedenen Böden ausgetrieben hat, also in ihrem Herkunftsland Chile und dann in ihrer Wahlheimat Deutschland.

Den zweiten Teil ihres Vortrags leitete sie dann ein mit der Präsentation des kurzen Dokumentarfilms „Chile in Flammen“, der die Hintergründe der aktuellen Staatskrise in Chile beleuchtet: Ausgelöst durch eine Erhöhung der Metropreise in der Hauptstadt Santiago um umgerechnet 30 Cent Ende Oktober 2019, entwickelte sich eine Massenprotestbewegung in ganz Chile, bei der es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam, auch hervorgerufen durch den unangemessen brutalen Einsatz der Sicherheitskräfte und die unbedachten Äußerungen des konservativen Präsidenten Sebastián Piñera, die Bilder und Assoziationen heraufbeschworen, die fatal an die 30 Jahre zurückliegende Militärdiktatur Pinochets erinnerten.

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So war die Erhöhung der Metropreise letztendlich auch nur der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen und Explodieren brachte. Die seit den Zeiten der Diktatur weiterhin geltende Verfassung mit ihren undemokratischen Elementen sowie die seitdem praktizierte neoliberale Wirtschaftspolitik haben zu eklatanten sozialen und wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten innerhalb der chilenischen Gesellschaft geführt: Mit einem Durchschnittseinkommen von umgerechnet 500 € müssen die chilenischen Familien Lebenshaltungskosten bestreiten, die denen in Europa nahekommen; Bildungschancen werden durch ein extremes Zweiklassensystem (private und öffentliche Schulen) stark beeinträchtigt; wichtige Sektoren sind privatisiert, so ist zum Beispiel Chile das einzige Land der Welt, in dem das Wasser sich im Privatbesitz befindet.

Gegen all diese und weitere Ungerechtigkeiten gehen seit Ende Oktober Millionen von Chilenen auf die Straßen; Epizentrum des Protests ist die Plaza de Italia in Santiago, inzwischen von den Protestierenden umbenannt in Plaza de la Dignidad (Platz der Würde); die Mächtigen im Lande wurden inzwischen zu diversen Zugeständnissen gezwungen, insbesondere von einem für April geplanten Plebiszit über eine neue Verfassung erhoffen sich die Chilenen gravierende Verbesserungen ihrer Situation.

Isabel Lipthay hob hervor, dass all diese zukünftigen Veränderungen ausgegangen seien vom Protest der jungen Leute, dem sich inzwischen auch die älteren Generationen angeschlossen hätten. Sie forderte die Spanischschüler der GSG auf, im Sinne des Prädikats der „Schule ohne Rassismus“ wachsam zu sein und politisch aktiv zu werden, etwa gegen die rechtsradikalen Tendenzen, die sich in jüngerer Zeit in Deutschland immer evidenter zeigen. Ihre Präsentation beendete die Chilenin mit dem Vortrag eines Liedes von Víctor Jara, dem bekannten chilenischen Liedermacher und Sänger, der in den Tagen nach dem Militärputsch brutal gefoltert und anschließend hingerichtet wurde.

Durch ihre kommunikative Art, ihre Empathie sowie ihr politisches Engagement gelang es Isabel Lipthay, die Schüler zu erreichen und ihr vorher im Spanischunterricht erworbenes Wissen nicht nur zu vertiefen, sondern mit Leben zu erfüllen.

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